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Mein Europa (1) – der Europäische Bundesstaat

Ich hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, mich etwas ausführlicher der Zukunft zu widmen, genauer meiner Vorstellung davon. Dies ist der erste Teil einer kleinen Serie, die ich unregelmäßig fortsetzen werde.

Von dem Land, in dem ich leben und sterben möchte, habe ich eine ziemlich klare Vorstellung. Dieses Land heißt Europa, gerne auch Europäische Union oder ähnlich in der Langversion, aber Europa trifft es ganz gut.

Dieses Europa, das ich mir vorstelle, ist ein Bundesstaat nach klassischem Verständnis. Es gibt eine Bundesebene, bei der das direkt gewählte Europäische Parlament in Brüssel gemeinsam mit dem Europäischen Rat, der Vertretung der Länder, die Legislative bildet. Die Rolle der Exekutive wird durch die Kommission wahrgenommen, zukünftig eine „richtige“ Regierung. Der Europäische Gerichtshof wiederum übernimmt die Funktion der höchsten legislativen Instanz.

Im Gegensatz zum Status quo soll das Parlament die volle Gesetzgebungskompetenz erhalten, während der Rat diese nur eingeschränkt ausübt, abhängig vom Themenkomplex des Gesetzes. Dennoch sollen beide Einrichtungen ein Initiativrecht erhalten. Die Kommission wird nicht mehr benannt, sondern der Kommissionspräsident vom Parlament gewählt, der diesem dann wiederum ein Kabinett vorschlägt, welches zumindest bestätigt werden muss. Aus praktischen Gründen kann dies aber auch en bloc geschehen. Das System ähnelt damit dem der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Republik Österreich, was auf der Hand liegt, betrachtet man die Verfassungsgeschichte beider Staaten.

Dennoch sollen die heutigen Mitgliedsstaaten in meinen Augen nicht einfach in neue Unionsländer überführt werden, da ich befürchte, dass dann ein großes Ungleichgewicht zwischen den Staaten herrschen wird. Ich plädiere dafür, viele kleinere Länder zu schaffen, die sehr viel stärker regionalisiert sind als heute. Man könnte auch sagen, dass ich ein „Europa der Regionen“ bevorzuge. Kleinere Staaten, wie zum Beispiel Malta, Dänemark oder auch die Niederlande, könnten praktisch eins zu eins Gliedstaaten der neuen Union werden. Die Bundesrepublik hingegen würde ich in etwa sieben Staaten aufteilen, die dann jeweils gleichberechtigte Unionsländer werden. Grundsätzlich sollten kleinere Staaten im Rat bevorzugt werden und, im Verhältnis der Stimmen zur Bevölkerungszahl, einen deutlichen Stimmenbonus erhalten, schon allein um einen Anreiz für die Teilung der heutigen großen Mitgliedsländer zu schaffen.

Die Bundesebene ist zuständig für allerlei klassische Bundesangelegenheiten, wie zum Beispiel Außenpolitik und Verteidigung, Standardisierung, Verkehr, Handel, das Zollwesen und den Grenzschutz. Aber auch die Gewährung von Asyl und der Zusammenschluss der Sozialversicherungen gehört für mich dazu. Im Gegensatz dazu möchte ich den Unionsländern mehr Kompetenzen zugestehen als den deutschen oder österreichischen Bundesländern heute. Einerseits, weil die Verteilung von Entscheidungsspielräumen auf einzelne Regionen den Einfluss der Wählerinnen und Wähler stärkt, und damit auch die Demokratie, und weil sich bestimmte Themen gar nicht unionsweit einheitlich regeln lassen. Man denke da beispielsweise an das Baurecht oder an den Verwendungszeitraum von Winterreifen. Andererseits gibt es unterschiedliche Traditionen im Umgang mit bestimmten Themen, für die ich keine Notwendigkeit einer Vereinheitlichung sehe. Möchte Finnland beispielsweise weiterhin, dass Spirituosen nur in den staatlichen „Alko“-Läden verkauft werden dürfen, während Portugal den Verkauf in Supermärkten, Tankstellen oder Kiosken erlaubt, dann sollen beide Länder das so handhaben dürfen. Auch bei Ladenöffnungszeiten, religiösen Feiertagen, der Regulierung von Campingmöglichkeiten und vielen anderen Dingen hat der Bund in meinen Augen gar kein Interesse daran, eine einheitliche Gesetzeslage her- und deren Einhaltung sicherzustellen.

Dieser Europäische Bundesstaat, den ich mir wünsche, stellt, so bekannt einem das System auch erscheinen mag, trotzdem etwas völlig Neuartiges dar. Denn dieser Staat wäre postnational.

Im Gegensatz zu den Nationalstaaten, die ab dem späten 18. Jahrhundert in Europa entstanden sind und nicht nur den Kontinent mehrfach in Schutt und Asche gelegt haben, kommt die neue Europäische Union am ehesten einer Willensnation nahe. Die klassische Nationalität, also der Ort meiner Geburt bzw. die entsprechende Zuschreibung, spielt bewusst keine Rolle mehr.

Um mich präziser auszudrücken: die Herkunft der Bürgerinnen und Bürger spielt nicht keine Rolle und die Heterogenität der Menschen wird auch nicht verschwiegen. Vielmehr bildet die Vielfältigkeit Europas den positiven Gründungsmythos des neuen Staates, auf den wir stolz sein können, den wir pflegen und den wir immer im Bewusstsein halten. Denn solange die breite Bevölkerungsmehrheit Pluralität als etwas Positives begreift, ist sie auch immun gegen Nationalismus, der, und auch das ist mir bewusst, immer seinen dunklen Schatten auf den Kontinent werfen wird.

Die Serie wird demnächst fortgesetzt. Konstruktive Kommentare sind gerne gesehen. Wer Hass verbreitet, spamt oder dieses Blog als Plattform für sonstige zweifelhafte Dinge nutzen möchte, wird aber blockiert.

Asyl – Chancen nutzen, Europa verändern

Hinweis: Ich verwende im nachfolgenden Blogeintrag den Begriff „Flüchtlinge“, da dieser in der aktuellen Debatte der gängigste ist. Mir ist bewusst, dass „Geflüchtete“ oder „Vertriebene“ die Situation dieser Menschen treffender beschreibt.

Nun ist es soweit. Die Mauer der Festung Europa hält, wie erwartet, dem Migrationsdruck nicht mehr Stand und immer mehr Menschen aus den Krisengebieten in Afrika, Osteuropa und insbesondere aus dem Nahen Osten fliehen zu uns in Sicherheit. Noch gibt es eifrige Bemühungen, die Außengrenzen wieder abzuschotten, aber ich gehe nicht davon aus, dass diese von „Erfolg“ gekrönt sein werden. Gut so.

Leider wird in der aktuellen Situation auch deutlich, wie uneins Europa wieder einmal ist. Der Süden stöhnt seit Jahren und wurde bisher konsequent ignoriert. Der Norden kann nicht mehr anders und nimmt, mehr halbherzig und mit ziemlicher Verspätung, endlich Flüchtlinge auf. Der Osten weigert sich bisher konsequent, auch nur ansatzweise einen akzeptablen Teil der Last zu tragen. Und die Unionsorgane sind so schwach, dass man kaum etwas von Ihnen hört und niemand protestiert ernsthaft gegen die gefährliche Aushöhlung der Reisefreiheit. Stattdessen pochen alle, soweit es geht, auf die Dublin-Verordnung, auch wenn alle wissen, dass sie nicht mehr funktionieren kann. Hauptsache, der Kelch geht irgendwie an einem vorüber und niemand muss dem eigenen Wahlvolk erklären, dass plötzlich „Ausländer“ ins Land kommen. Gefundenes Fressen für alle Naziparteien.

Was aber tun, in diesem Ausnahmezustand? Ich empfehle, Vernunft walten zu lassen und die Chancen zu nutzen, die diese dramatische Lage mit sich bringt. Ganz konkret schlage ich folgende Maßnahmen vor:

1. Asyl wird Unionskompetenz

Alle Staaten der Europäischen Union geben die Kompetenz, Asylverfahren zu bearbeiten und Asyl zu gewähren, an eine gemeinsame Europäische Asylagentur ab. Diese Asylagentur bearbeitet unionsweit alle Asylanträge in einer Einzelfallprüfung nach einheitlichen Kriterien. Alle Anträge werden digital erfasst, so lässt sich eine Bearbeitung an jedem Ort innerhalb der Union und in jeder Sprache sicherstellen. Die Bearbeitungszeit sollte im Regelfall maximal zwei, in Ausnahmesituationen maximal vier Wochen betragen.

Registrierungsstellen dieser Agentur werden an den Außengrenzen, an Fernbahnhöfen, Häfen und Flughäfen eingerichtet; und gegebenenfalls auch dicht an den Krisenherden (zum Beispiel in der Türkei). Falls nötig, wird in der Nähe dieser Registrierungsstellen durch die Europäische Union ein Unterbringungsmöglichkeit organisiert und/oder finanziert, in der Flüchtlinge solange bleiben können und versorgt werden, bis die Bearbeitung des Asylantrags abgeschlossen ist. Wird Asyl gewährt, werden die Menschen nach einem festzulegenden Schlüssel auf die Unionsstaaten verteilt. Fairerweise muss man an dieser Stelle auch sagen, dass eine Abschiebung stattfindet, sollte der Antrag endgültig abgelehnt werden.

Nord- und Südeuropa könnten sich sicherlich schnell auf einen Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge einigen. Doch der Osten blockiert; und dies kann ich nachvollziehen. Die Wirtschaftsleistung ist dort noch immer deutlich schwächer als im Westen und bisher waren all diese Staaten seit jeher Auswanderungsländer. Migration ist dort nach wie vor ein weitgehend unbekanntes Phänomen.

Was also tun? Osteuropa aus der Verantwortung entlassen? Natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, es sollte ganz deutlich auf die Verantwortung hingewiesen werden, die diese Staaten tragen. 2004, 2007 beziehungsweise 2013 haben sich all diese Bürgerinnen und Bürger bewusst für die Werte Europas und die Freiheit entschieden, und mit Freiheit kommt Verantwortung!

Dennoch glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist, beispielsweise Tschechien „mal eben“ mit 300.000 Flüchtlingen allein zu lassen. Die Bedenken müssen ernst genommen und der Umgang mit Migration erlernt werden. Die Situation ist hier vergleichbar mit Ostdeutschland nach der Wende.

Zurück zum Schlüssel: Generell sollten die Bevölkerungszahl, die Bevölkerungsdichte und die Wirtschaftsleistung pro Kopf für die Verteilung der Flüchtlinge ausschlaggebend sein. Demnach würde beispielsweise Luxemburg mehr Flüchtlinge aufnehmen als Malta, weil Malta wirtschaftlich weniger Leistungsfähig und dichter besiedelt ist, obwohl beide eine ähnliche Bevölkerungszahl haben. Osteuropa sollte bei Einführung dieses Schlüssels einen „Flüchtlingsrabatt“ bekommen, also deutlich weniger Menschen aufnehmen müssen, als es dem Schlüssel zufolge eigentlich müsste. Über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren wird der Wert dann stufenweise angehoben, bis am Schluss der reguläre Verteilungsschlüssel Anwendung findet.

2. Gemeinsamen Grenzschutz einrichten

Bisher unterhält jeder Unionsstaat eigene Grenzschutzeinheiten und ist für die Sicherung seiner Grenzen selbst verantwortlich. Dies führt zu einem Ungleichgewicht innerhalb der Union, da insbesondere der wirtschaftlich starke Norden hier kaum Anstrengungen unternehmen muss, während  der Osten und der Süden nahezu alleine die Außengrenzen sichern. Zwar gibt es mit Frontex eine Agentur der Union, die bei der Kooperation unterstützt, allerdings genießt sie weder einen guten Ruf noch ist sie ausreichend demokratisch kontrolliert.

Ich schlage vor, dass alle Grenzschutzaufgaben zukünftig von einer gemeinsamen Europäischen Grenzwacht wahrgenommen werden. Diese übernimmt sowohl den unmittelbaren Schutz der Außengrenzen, Tätigkeiten im Landesinneren (z. B. Einsatz an Flughäfen und Bahnhöfen) als auch die Aufgaben der Küstenwache. Bestehende Organe sollten in dieser Grenzwacht aufgehen.

Die Europäische Grenzwacht wird als Polizei organisiert, und damit nicht als militärische oder paramilitärische Einheit. Sie untersteht dem Kommissar für Inneres und wird von einem Ausschuss des Europäischen Parlaments kontrolliert. Sie darf nicht im Ausland eingesetzt werden, mit der Ausnahme von Kooperationen mit ähnlichen Organen, UN-Polizeieinsätzen oder ähnlichem.

In Ausnahmesituationen kann die Grenzwacht Amtshilfe der Polizeiorgane der Unionsstaaten anfordern. Primär ist die Polizeieinheit des jeweiligen Staates gefordert, allerdings können unter bestimmten Umständen auch Kräfte aller Staaten zur Unterstützung herangezogen werden, wobei das Oberkommando immer bei der Grenzwacht verbleibt.

Sollte innerhalb der Union temporär eine Grenzkontrolle eingeführt werden, was ich im Übrigen strikt ablehne, so muss diese zwingend von der Europäischen Grenzwacht durchgeführt werden.

3. Migration steuern

Die Europäische Union ist die reichste Volkswirtschaft der Welt. Und auch, wenn der Reichtum innerhalb Europas sehr ungleich verteilt ist, so ist er es weltweit betrachtet noch viel mehr. Bis wir aufhören, unseren Wohlstand auf Kosten anderer zu finanzieren, werden immer Menschen zu uns kommen, die hier eine bessere Zukunft suchen. Man kann versuchen, diese Menschen davon abzuhalten, aber gelingen wird es nie.

Deshalb ist es klüger, Migration nach Europa zu ermöglichen und zu steuern. Klare Regeln für Einwanderung, die am Schluss auch zu einer Staatsbürgerschaft führen, ermöglichen nicht nur einen transparenten Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Nein, sie motivieren die Einwandernden auch, engagierte Bürgerinnen und Bürger zu werden.

Und genau das kann dieser Kontinent gut gebrauchen.