Archiv für den Monat: Juni 2015

Märchenstunde

Es waren einmal zwei Nachbarn. Eines Tages war der eine Nachbar knapp bei Kasse, denn er hatte sein gesamtes Monatseinkommen bereits für einen langen Urlaub, sein luxuriöses Auto, schöne neue Kleidung und Geschenke ausgegeben und ging häufig in noblen Restaurants essen. Da fragte er den anderen Nachbarn, der viel und hart arbeitete und sich seinen bescheidenen Wohlstand vom Munde absparte, ob er ihm nicht etwas Geld leihen könne, um über die Runden zu kommen. Der sparsame Nachbar willigte ein, aus Nächstenliebe und Mitleid, bestand aber darauf, das Geld im nächsten Monat zurückgezahlt zu bekommen.

Monat für Monat ging ins Land und immer und immer wieder hatte der erste Nachbar sein gesamtes Einkommen ausgegeben. Höflich fragte der Fleißige, wann er denn sein Geld zurückerhalten würde. Doch der Lebemann von nebenan wurde pampig und weigerte sich, auch nur einen Taler zurückzuzahlen. Schließlich meldete er Insolvenz an und der gutmütige Nachbar sah keinen Kreuzer seiner Leihgabe jemals wieder.

So ungefähr ist das Verhalten “der Griechen” gegenüber ihren Gläubigern, insbesondere “uns”, wenn man dem Axel-Springer-Verlag und vielen anderen Medien glaubt.

Und nun zu einer völlig anderen Geschichte:

Es waren einmal zwei Nachbarn. Der eine verfügte über großzügige Ländereien, auf denen er Getreide und Gemüse anbaute. Der andere hatte lediglich ein kleines Stück Land, um seine Familie zu ernähren. Nach einem heißen und trockenen Sommer fiel die Ernte so mager aus, dass der Kleinbauer nicht genug zu Essen hatte, um seine Familie über den Winter zu bringen. Er klopfte an der Tür des benachbarten Großgrundbesitzers und bat ihn darum, ihm einen Teil seiner Ernte abzugeben. Dieser willigte sofort ein, unter der Bedingung, dass der Kleinbauer im kommenden Jahr mehr zurückgeben werde, als ihm dieses Jahr geliehen worden sei. Der Kleinbauer nahm das Angebot an, um nicht zu verhungern.

Der nächste Sommer kam und die Ernte des Kleinbauern war dieses Mal ausreichend, um seine Familie zu ernähren. Doch sein Nachbar kam und bestand darauf, den vereinbarten Teil der Ernte plus Zinsen zu erhalten. “Lieber Nachbar”, erwiderte der Kleinbauer, “dann bleibt mir und meiner Familie dieses Jahr noch weniger zu Essen als im letzten Winter, und du hast große Ländereien und Vorräte, die für viele Jahre reichen. Willst du mir meine Schuld nicht erlassen?” Doch sein Nachbar verneinte. “Willst du mir im kommenden Winter Getreide geben, ohne dass ich dir ein Vielfaches davon zurückzahlen muss, sodass ich meine Schuld bei dir nach und nach begleichen kann?”, fragte der Kleinbauer dann. Doch sein Nachbar verneinte. “Willst du mir nicht einen Teil deines Landes abgeben, damit ich mehr Getreide anbauen kann und nicht mehr auf deine Hilfe angewiesen bin?” Doch sein Nachbar verneinte.

Und so begab es sich, dass der Kleinbauer jahrein jahraus weniger seiner Ernte für sich und seine Familie behalten konnte und auch in guten Erntezeiten von der Gnade seines wohlhabenden Nachbarn abhängig war.

Dies entspricht in etwa dem, was mit Griechenland tatsächlich geschehen ist.

Die Pest in den Zeiten der Cholera

Als Sozi hat man es nicht leicht. Da ist man Mitglied der größten Partei im größten Land der größten Wirtschaftsmacht der Welt, und trotzdem nur Juniorpartner in einer Koalition von Merkels Gnaden. Man hat ein breites Spektrum an Positionen innerhalb der Partei, getragen von einer schweigenden sozialistisch-sozialdemokratischen Mehrheit, aber zu hören bekommt man nur den lauten wirtschaftsliberalen Flügel. Über ein bewährtes, demokratisches System der Mitbestimmung entwickelt man gemeinsam Positionen und Beschlüsse, die durch den Koalitionsvertrag nicht umgesetzt oder die durch die von uns gewählte Parteispitze ignoriert werden. Das alles ist mitunter sehr frustrierend.

Wenn sich Sigmar Gabriel hinstellt und mit Rücktritt droht, sollte so etwas furchtbares wie die Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt werden, hat er meiner Meinung nach den aufziehenden Shitstorm redlich verdient. Es ehrt Sigmar zwar, dass er loyal zur Koalition steht und umsetzt, was beschlossen worden ist. Pacta sunt nun mal servanda. Aber dass, neben so tollen Dingen wie dem Mindestlohn, auch ein Haufen Scheiß im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, muss man auch öffentlich sagen und sagen dürfen. Das erwarte ich von meiner Parteiführung! (Heiko Maas macht bei dem Thema Vorratsdatenspeicherung immerhin einen zerknirschten Eindruck.)

Wie geht es weiter mit dieser Großen Koalition? Setzen wir jetzt tatsächlich nur noch Mist in die Tat um? Erst die Ausländermaut, dann das populistische Griechenland-Bashing, dann die Vorratsdatenspeicherung; was kommt als nächstes? Bleibt man in der Zwangsehe mit der CDU und ihrer lächerlichen rechtskonservativen Schwesterpartei? Lässt man die Koalition platzen?

Ich tendiere ja zu Letzterem, auch wenn mir bewusst ist, dass das Ergebnis in einem Desaster für die SPD enden wird. German Angst, weil die Aktienkurse erst mal auf Talfahrt gehen werden. KeinE GegenkandidatIn zur beliebten Angela Merkel und, viel schlimmer, mangelnde Nachwuchsförderung und daher wenig neue Gesichter in der zweiten Reihe. Abstrafung an der Wahlurne dafür, dass man “schuld” an dem Ende der GroKo ist. Und damit verbunden eine mögliche absolute Mehrheit für die CDU/CSU, Macht- aber auch Arbeitsplatzverlust bei der SPD, Verlust von politischem Einfluss auf Bundesebene etc. pp.

Aber was wäre die Alternative? Die positiven Dinge im Koalitionsvertrag haben wir schon umgesetzt und bis zur Wahl heimst sich die Kanzlerin, mit der in der Öffentlichkeit die Erfolge leider verbunden werden, die Lorbeeren ein. Ich glaube derzeit nicht, dass die SPD bei der kommenden Wahl deutlich Stimmenanteile zugewinnen wird. Und dann hätten wir eben 2017 die Situation, die mit einem Bruch der Koalition schon heute entstehen könnte, allerdings ohne ein “reinigendes Feuer” mit der Chance auf einen politischen Schwenk und letztlich einen “Imagewandel”, weg von der verhassten Hartz-IV-Partei.

Ich glaube, ein mutiger Schritt in Richtung Neuwahlen täte der SPD gut. Und ich glaube auch, dass es dazu nicht kommen wird, denn an der Regierungsbeteiligung hängen auch innerhalb der Partei zu viele Interessen. Nicht mal nur die Lust auf die Gestaltungsmöglichkeit, sei sie auch noch so klein, sondern schlicht die finanzielle Existenz.