Archiv für den Monat: September 2015

Asyl – Chancen nutzen, Europa verändern

Hinweis: Ich verwende im nachfolgenden Blogeintrag den Begriff „Flüchtlinge“, da dieser in der aktuellen Debatte der gängigste ist. Mir ist bewusst, dass „Geflüchtete“ oder „Vertriebene“ die Situation dieser Menschen treffender beschreibt.

Nun ist es soweit. Die Mauer der Festung Europa hält, wie erwartet, dem Migrationsdruck nicht mehr Stand und immer mehr Menschen aus den Krisengebieten in Afrika, Osteuropa und insbesondere aus dem Nahen Osten fliehen zu uns in Sicherheit. Noch gibt es eifrige Bemühungen, die Außengrenzen wieder abzuschotten, aber ich gehe nicht davon aus, dass diese von „Erfolg“ gekrönt sein werden. Gut so.

Leider wird in der aktuellen Situation auch deutlich, wie uneins Europa wieder einmal ist. Der Süden stöhnt seit Jahren und wurde bisher konsequent ignoriert. Der Norden kann nicht mehr anders und nimmt, mehr halbherzig und mit ziemlicher Verspätung, endlich Flüchtlinge auf. Der Osten weigert sich bisher konsequent, auch nur ansatzweise einen akzeptablen Teil der Last zu tragen. Und die Unionsorgane sind so schwach, dass man kaum etwas von Ihnen hört und niemand protestiert ernsthaft gegen die gefährliche Aushöhlung der Reisefreiheit. Stattdessen pochen alle, soweit es geht, auf die Dublin-Verordnung, auch wenn alle wissen, dass sie nicht mehr funktionieren kann. Hauptsache, der Kelch geht irgendwie an einem vorüber und niemand muss dem eigenen Wahlvolk erklären, dass plötzlich „Ausländer“ ins Land kommen. Gefundenes Fressen für alle Naziparteien.

Was aber tun, in diesem Ausnahmezustand? Ich empfehle, Vernunft walten zu lassen und die Chancen zu nutzen, die diese dramatische Lage mit sich bringt. Ganz konkret schlage ich folgende Maßnahmen vor:

1. Asyl wird Unionskompetenz

Alle Staaten der Europäischen Union geben die Kompetenz, Asylverfahren zu bearbeiten und Asyl zu gewähren, an eine gemeinsame Europäische Asylagentur ab. Diese Asylagentur bearbeitet unionsweit alle Asylanträge in einer Einzelfallprüfung nach einheitlichen Kriterien. Alle Anträge werden digital erfasst, so lässt sich eine Bearbeitung an jedem Ort innerhalb der Union und in jeder Sprache sicherstellen. Die Bearbeitungszeit sollte im Regelfall maximal zwei, in Ausnahmesituationen maximal vier Wochen betragen.

Registrierungsstellen dieser Agentur werden an den Außengrenzen, an Fernbahnhöfen, Häfen und Flughäfen eingerichtet; und gegebenenfalls auch dicht an den Krisenherden (zum Beispiel in der Türkei). Falls nötig, wird in der Nähe dieser Registrierungsstellen durch die Europäische Union ein Unterbringungsmöglichkeit organisiert und/oder finanziert, in der Flüchtlinge solange bleiben können und versorgt werden, bis die Bearbeitung des Asylantrags abgeschlossen ist. Wird Asyl gewährt, werden die Menschen nach einem festzulegenden Schlüssel auf die Unionsstaaten verteilt. Fairerweise muss man an dieser Stelle auch sagen, dass eine Abschiebung stattfindet, sollte der Antrag endgültig abgelehnt werden.

Nord- und Südeuropa könnten sich sicherlich schnell auf einen Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge einigen. Doch der Osten blockiert; und dies kann ich nachvollziehen. Die Wirtschaftsleistung ist dort noch immer deutlich schwächer als im Westen und bisher waren all diese Staaten seit jeher Auswanderungsländer. Migration ist dort nach wie vor ein weitgehend unbekanntes Phänomen.

Was also tun? Osteuropa aus der Verantwortung entlassen? Natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, es sollte ganz deutlich auf die Verantwortung hingewiesen werden, die diese Staaten tragen. 2004, 2007 beziehungsweise 2013 haben sich all diese Bürgerinnen und Bürger bewusst für die Werte Europas und die Freiheit entschieden, und mit Freiheit kommt Verantwortung!

Dennoch glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist, beispielsweise Tschechien „mal eben“ mit 300.000 Flüchtlingen allein zu lassen. Die Bedenken müssen ernst genommen und der Umgang mit Migration erlernt werden. Die Situation ist hier vergleichbar mit Ostdeutschland nach der Wende.

Zurück zum Schlüssel: Generell sollten die Bevölkerungszahl, die Bevölkerungsdichte und die Wirtschaftsleistung pro Kopf für die Verteilung der Flüchtlinge ausschlaggebend sein. Demnach würde beispielsweise Luxemburg mehr Flüchtlinge aufnehmen als Malta, weil Malta wirtschaftlich weniger Leistungsfähig und dichter besiedelt ist, obwohl beide eine ähnliche Bevölkerungszahl haben. Osteuropa sollte bei Einführung dieses Schlüssels einen „Flüchtlingsrabatt“ bekommen, also deutlich weniger Menschen aufnehmen müssen, als es dem Schlüssel zufolge eigentlich müsste. Über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren wird der Wert dann stufenweise angehoben, bis am Schluss der reguläre Verteilungsschlüssel Anwendung findet.

2. Gemeinsamen Grenzschutz einrichten

Bisher unterhält jeder Unionsstaat eigene Grenzschutzeinheiten und ist für die Sicherung seiner Grenzen selbst verantwortlich. Dies führt zu einem Ungleichgewicht innerhalb der Union, da insbesondere der wirtschaftlich starke Norden hier kaum Anstrengungen unternehmen muss, während  der Osten und der Süden nahezu alleine die Außengrenzen sichern. Zwar gibt es mit Frontex eine Agentur der Union, die bei der Kooperation unterstützt, allerdings genießt sie weder einen guten Ruf noch ist sie ausreichend demokratisch kontrolliert.

Ich schlage vor, dass alle Grenzschutzaufgaben zukünftig von einer gemeinsamen Europäischen Grenzwacht wahrgenommen werden. Diese übernimmt sowohl den unmittelbaren Schutz der Außengrenzen, Tätigkeiten im Landesinneren (z. B. Einsatz an Flughäfen und Bahnhöfen) als auch die Aufgaben der Küstenwache. Bestehende Organe sollten in dieser Grenzwacht aufgehen.

Die Europäische Grenzwacht wird als Polizei organisiert, und damit nicht als militärische oder paramilitärische Einheit. Sie untersteht dem Kommissar für Inneres und wird von einem Ausschuss des Europäischen Parlaments kontrolliert. Sie darf nicht im Ausland eingesetzt werden, mit der Ausnahme von Kooperationen mit ähnlichen Organen, UN-Polizeieinsätzen oder ähnlichem.

In Ausnahmesituationen kann die Grenzwacht Amtshilfe der Polizeiorgane der Unionsstaaten anfordern. Primär ist die Polizeieinheit des jeweiligen Staates gefordert, allerdings können unter bestimmten Umständen auch Kräfte aller Staaten zur Unterstützung herangezogen werden, wobei das Oberkommando immer bei der Grenzwacht verbleibt.

Sollte innerhalb der Union temporär eine Grenzkontrolle eingeführt werden, was ich im Übrigen strikt ablehne, so muss diese zwingend von der Europäischen Grenzwacht durchgeführt werden.

3. Migration steuern

Die Europäische Union ist die reichste Volkswirtschaft der Welt. Und auch, wenn der Reichtum innerhalb Europas sehr ungleich verteilt ist, so ist er es weltweit betrachtet noch viel mehr. Bis wir aufhören, unseren Wohlstand auf Kosten anderer zu finanzieren, werden immer Menschen zu uns kommen, die hier eine bessere Zukunft suchen. Man kann versuchen, diese Menschen davon abzuhalten, aber gelingen wird es nie.

Deshalb ist es klüger, Migration nach Europa zu ermöglichen und zu steuern. Klare Regeln für Einwanderung, die am Schluss auch zu einer Staatsbürgerschaft führen, ermöglichen nicht nur einen transparenten Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Nein, sie motivieren die Einwandernden auch, engagierte Bürgerinnen und Bürger zu werden.

Und genau das kann dieser Kontinent gut gebrauchen.