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Blogeinträge, die sonst nirgends passen.

Lehren aus der Corona-Pandemie

Es ist Ende März 2020, wenn ich diese Zeilen schreibe. Die COVID-19-Pandemie hat in Europa ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, die Lage ist angespannt. Die Grenzen sind geschlossen, Ausgangssperren drohen. In Krankenhäusern gehen Desinfektionsmittel und Schutzmasken zur Neige. Toilettenpapier und Seife sind in den Supermärkten Mangelware, ansonsten ist die Versorgung sichergestellt. Das öffentliche Leben liegt danieder. Auf den Straßen sind, trotz des fabelhaften Wetters, wenige Menschen unterwegs. Mein ganzes Team arbeitet im Homeoffice. Selbst Besuche der Familie schränken wir ein. Der kommende Urlaub hat sich in eine Bereitschaftszeit verwandelt.

Insbesondere das medizinische Personal, aber auch Polizist*innen, Verkäufer*innen, Fahrer*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen gehen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Gleichzeitig müssen viele Betriebe ihre Arbeit einstellen. Viele Menschen sitzen einfach zu Hause in ihren Wohnungen, in der Hoffnung, dass die Ersparnisse bis zum Ende der Krise reichen.

Wir stellen fest, dass einige Dinge nicht gut funktionieren. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht in das übliche Gemecker einsteigen, sondern Vorschläge unterbreiten, die uns für die nächste Krise – und die wird kommen – besser wappnen:

Grundeinkommen einführen:
Aktuell bricht vielen Menschen von einem Tag auf den anderen ihr Einkommen weg. Die Behörden sind gar nicht in der Lage, auf die Schnelle einen finanziellen Puffer großflächig auszurollen, selbst wenn der Gesetzgeber dies wollte. Daher plädiere ich für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; mindestens bundes-, am besten aber unionsweit. Dies funktioniert in meiner Vorstellung wie folgt: jede*r Mensch mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik bzw. der Union erhält 1.000 € im Monat, also 12.000 € im Jahr, aus Steuergeldern. Darüber hinaus wird die Besteuerung aller Einkommensarten so geändert, dass die ersten 12.000 € im Jahr pro Person komplett steuerfrei sind, die zweiten 12.000 € (also der 12.001. bis 24.000. Euro) zu 100 % besteuert werden. Danach geht es wie gewohnt gestaffelt weiter.
Dies hat zur Folge, dass all diejenigen, die mehr als 1.000 € monatlich verdienen, de facto kein Grundeinkommen erhalten. Wer hingegen wenig Geld verdient oder lediglich Sozialleistungen bezieht, rechnet dies gegen und erhält so am Monatsende mindestens 1.000 €.
Mir ist bewusst, dass das de facto das Arbeitslosengeld, das Wohngeld etc. überflüssig macht, wodurch nebenbei Verwaltungskosten eingespart und die Gemeindekassen entlastet werden können. Außerdem werden Mini-Jobs und prekäre Beschäftigungen unattraktiv. Schwarzarbeit muss scharf verfolgt werden. Wir federn Einkommensausfälle in Krisenzeiten, wie dieser, aber sehr einfach und unbürokratisch ab.

Kartenzahlung ermöglichen:
Es mag erst einmal verrückt klingen, aber die kontaktlose Bezahlung per Karte oder Smartphone kann Leben retten. Denn über Bargeld reisen Viren sehr schnell von Mensch zu Mensch. Darüber hinaus versteht außerhalb von Deutschland sowieso niemand, warum man überhaupt noch bar bezahlt, aber sei’s drum.
Ich schlage deshalb vor, dass jedes Unternehmen, das Kartenzahlung akzeptiert, dies ohne Untergrenze tun muss. Sätze wie: „Kartenzahlung erst ab zehn Euro!“ würden damit der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus wird jede Kette mit mehr als zwei Geschäften dazu verpflichtet, Kartenzahlungen zu akzeptieren. Dies schließt auch Franchisemodelle mit ein.
Ich würde private Unternehmen überhaupt nicht mehr zu Annahme von Bargeld verpflichten. Ausnehmen von dieser Regel würde ich nur Behörden und medizinische Einrichtungen.

Recht auf Homeoffice einführen:
Natürlich können viele Menschen nicht von zu Hause aus arbeiten. Wer an der Kasse sitzt, Menschen pflegt, Bus fährt, Laborproben auswertet usw., wird natürlich immer an einen spezialisierten Arbeitsplatz fahren müssen, um der eigenen Tätigkeit nachgehen zu können. Dennoch arbeiten viele Menschen in Berufen, die grundsätzlich Homeoffice ermöglichen. Ich vermute, es sind zwischen 10 und 20 % aller Arbeitnehmer*innen.
Gäbe es ein Recht auf Homeoffice, sofern die Tätigkeit dies strukturell zulässt, würden wir nicht nur den Straßen- bzw. den öffentlichen Personennahverkehr entlasten und dadurch in Pandemiezeiten die Ansteckungsquote reduzieren, sondern die entsprechenden Unternehmen und Behörden würden auch Lösungen zur Telearbeit bereithalten. Kapazitäten für Telefon- und Videokonferenzen, gemeinsame Datenspeicher, Cloud-Anwendungen, Online-Whiteboards etc. lassen sich in Ausnahmesituationen wie der jetzigen recht schnell aufstocken. Doch müssen diese Dienste erst einmal eingeführt und der Umgang mit ihnen „geübt“ werden. Ein solches Gesetz würde dies zukünftig ermöglichen.

Schulen mit Online-Lernplattformen ausstatten:
Zugegeben, das ist ein dickes Brett, denn alleine in Deutschland haben wir 16 Bundesländer, über 400 Landkreise und kreisfreie Städte und was weiß ich wie viele Gemeinden, die für die Schulen zuständig sind. Würden wir diesen Einrichtungen allen eine bundesweit einheitliche, sichere und komfortable Plattform für das „Online-Lernen“ bereitstellen, könnte man bei Pandemien und in anderen Krisenzeiten den Schulbetrieb virtuell ein Stück weit aufrechterhalten.
Dass Hausaufgaben und andere Materialien online für die Schülerinnen und Schüler abrufbar sein sollen, wäre meiner Vorstellung nach nur ein mögliches Feature. Auch die Bereitstellung von Audiodateien, Videos und externen Materialien sollte möglich sein, genau wie ein virtueller Klassenraum mit Chat- und Telefonkonferenzfunktion.

Grenzen offen lassen, Bewegungsradien einschränken:
Die Grenzen der Unionsstaaten zu schließen, war ein nachvollziehbarer Reflex. In Zeiten von eng getakteten Lieferketten erweist sich dies jedoch als fatal. Denn obwohl Lastwagen die Grenzen nach wie vor passieren dürfen, stauen sich diese kilometerweit ins Hinterland. Die Versorgung der Fahrerinnen und Fahrer ist nicht sichergestellt, weil die Raststätten geschlossen haben und sowieso nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen würden.
Sinnvoller wäre es, die Bewegungsradien aller Menschen koordiniert einzuschränken, sofern sie nicht auf dem Weg zur oder von der Arbeit sind. Ich stelle mir vor, dass, sofern keine Ausgangssperre erlassen worden ist oder gar Quarantäne angeordnet wurde, jeder Mensch sich nur 20 km um seinen Wohnort herum aufhalten darf. Natürlich ließe sich dieser Wert beliebig anpassen. Aber durch eine solche Maßnahme wäre sichergestellt, dass wirklich nur die notwendigsten Fahrten unternommen werden, wie das Einkaufen oder die Versorgung von Angehörigen, Tieren o. ä.

„Unionsreserve“ anlegen:
Desinfektionsmittel ist knapp. Atemschutzmasken sind knapp. Sauerstoffflaschen sind knapp. Überall.
Was lernen wir daraus? Wir müssen einen Vorrat anlegen. Ich schlage deshalb vor, dass wir unionsweit beispielsweise drei Millionen Liter Desinfektionsmittel, zehn Millionen Atemschutzmasken und eine Million Flaschen mit medizinischem Sauerstoff bevorraten, sobald diese wieder auf dem Markt verfügbar sind. Dieser Vorrat wird bei Bedarf Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.

Die medizinische Versorgung reformieren:
Wir merken aktuell, dass das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt. Wo schon in Zeiten des Regelbetriebs Personalkapazitäten knapp sind und teure, aber wichtige Geräte nur in geringer Stückzahl bereitgehalten werden, kann die extreme Belastung einer Pandemie realistischerweise nicht aufgefangen werden.
Natürlich sollen Praxen, Apotheken und auch Krankenhäuser nach wie vor unabhängig vom Staat sein. Ein Modell nach Vorbild des britischen NHS halte ich für ineffizient und träge. Dennoch wünsche ich mir, dass medizinische Großbetriebe, allen voran Krankenhäuser, keinen Gewinn abwerfen dürfen, um sich voll und ganz ihrem Daseinszweck zu widmen, nämlich der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Durch eine Umwandlung in gGmbHs & Co. würden den jetzigen Unternehmenseigner*innen jedoch Einnahmen entgehen, weshalb man vermutlich über eine Entschädigung bzw. einen Erwerb der Unternehmen sprechen müsste.
Doch die Entkommerzialisierung von Krankenhäusern wäre nur ein erster Schritt. Darauf folgen müsste eine Mindestquote von Pflegepersonal und Ärtz*innen pro Bett, die das Krankenhaus einhalten muss. So wird mehr Personal benötigt, was zu mehr Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt führt, was zu höheren Gehältern führt.
Darüber hinaus muss die Ausbildung und das Studium im Pflegebereich gefördert werden und auch den Numerus Clausus für das Medizinstudium halte ich für längst nicht mehr zeitgemäß.

Lasst uns gemeinsam die Chance nutzen, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergibt, uns unsere Gesellschaft nach vorne entwickeln!

SPD: Es ist (noch) nicht die Zeit für Inhalte

Die SPD steht schlecht da. Und wer ab und an mein Blog gelesen hat, weiß vermutlich auch, was ich darüber denke. Ich spare mir darum die weitere Analyse des Zustands der Partei und möchte auch nicht mit in das aktuelle Untergangsgeheule einsteigen. Was ich möchte, ist, dass wir uns ehrlich machen und nach vorne blicken.

Es ist nicht die Zeit für Inhalte in der SPD. Noch nicht. Denn bevor wir uns an die vielen thematischen Baustellen machen, muss die Systemfrage geklärt werden. Nein, damit ist natürlich nicht die nächste Revolution gemeint. *lach* Ich bitte Sie, ich spreche von der SPD! Sondern das parteiinterne System von… nun ja, allem.

Wir haben in der SPD ein Problem: unsere Behäbigkeit. „Tradition seit 1863“ klingt zwar vertrauenerweckend, wenn ich Brot oder Kaffee kaufen möchte. In der Politik bringt uns das aber gar nichts, wenn wir nicht in der Lage sind, uns an Veränderungen anzupassen. Ämterhäufung ist zwar nicht SPD-typisch, aber bei uns selbstverständlich. Dass Beschlüsse durch Delegierte getroffen werden und nicht durch die Basis, war verständlicherweise logistisch früher nicht anders zu bewerkstelligen. Und dass der Parteivorstand sich dann über diese Beschlüsse durch eigene Entscheidungen im Tagesgeschäft hinwegsetzt, so ist das eben…

Ich finde dies alles nicht mehr zeitgemäß und wünsche mir folgendes:

  • Alle Personalentscheidungen und alle Beschlüsse werden durch die Basis beschlossen. Ersteres in geheimer Wahl und daher per Brief. Letzteres in namentlicher Abstimmung, was netzbasierte Systeme ermöglicht.
  • Delegiertenkonferenzen soll es weiterhin geben, gerne auch für die pressewirksame Show. Aufgabe der Delegierten ist es jedoch nur, die Beschlussvorlagen zu erarbeiten, die dann zur Abstimmung gestellt werden. Es soll auch möglich sein, konkurrierende Anträge gegeneinander antreten zu lassen.
  • Ämter in Legislative, Exekutive und Judikative sind nicht miteinander vereinbar. Wer beispielsweise Minister*in wird und gleichzeitig ein Parlamentsmandat inne hat, muss sich entscheiden. Es ist ja auch gar nicht möglich, zwei Jobs, die man von der Belastung her im oberen beziehungsweise mittleren Management ansiedeln würde, gleichzeitig auszuüben.
  • Die Parteivorsitzenden, gerne mehrere, haben kein Exekutivamt inne. Es ist demnach nicht möglich, Kanzler*in und Parteivorsitzende*r gleichzeitig zu sein.
  • Alle Mandate sind zeitlich befristet. Man dürfte zum Beispiel nach zwei oder drei Legislaturperioden im jeweiligen Parlament bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. So generieren wir personell eine gesunde Fluktuation, tun etwas gegen das Kleben an Posten, schaffen mehr Bodenhaftung, bringen unterschiedlichste Lebenserfahrungen ein und vermeiden, dass man in der SPD nur „etwas werden“ kann, wenn man die jahrzehntelange, frustrierende Parteikarriere auf sich nimmt.
  • Der Parteivorstand und die Fraktionen legen halbjährlichen Rechenschaft über ihre Arbeit ab, ähnlich einer Hauptversammlung bei Aktiengesellschaften. Wurde etwas gegen die geltende Beschlusslage entschieden, kann die Hauptversammlung die jeweils Verantwortlichen zur Rede stellen.

Das SPD-Parteibuch wird dadurch ungleich mächtiger und zu einer, ich möchte sagen, zweiten Staatsbürgerschaft! Wir sind nach wie vor eine der einflussreichsten und größten demokratischen Parteien der Welt. Ist dieser konstitutionelle Wandel in der Partei geschafft, können wir uns auf die Inhalte konzentrieren. Vorher nicht. Die Zeit drängt also.

Arbeiten endlich online

Wozu so ein verregneter Brückentag doch alles gut ist…

Ich habe es endlich geschafft, meine Arbeiten von der alten auf die neue Website zu migrieren. Das freut nicht nur die Suchmaschinen, sonder auch die Wissenschaft. 🙂

Ihr findet alle meine unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlichen Dokumente im Menü unter Arbeiten oder durch einen Klick auf das jeweilige Thema.

SPD – Lasst uns den Neustart wagen

Martin Schulz

Es ist der Tag nach der Bundestagswahl 2017. Der Schock weicht allmählich, der Alltag kehrt langsam zurück. Die AfD, der gestern jede*r achte Wahlberechtigte die Stimme gegeben hat, überrascht heute mit ihrer Spaltung. Popcorn gegen den Gefühlskater, aber so richtig will keine Freude aufkommen.

So wie ich mich heute fühle, muss es Fußballfans nach einer krachenden Niederlage gehen. Nur ist das hier kein Spiel, sondern bittere Realität. Als Sozi habe ich es da gleich doppelt schwer; es wird nicht nur die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt, sondern meine Partei versinkt auch noch im Eiltempo in der Bedeutungslosigkeit.

Wer mich kennt, kennt mich als unerschütterlichen Optimisten. Aber selbst mein Optimismus wird auf eine harte Probe gestellt. Was haben wir alles falsch gemacht? Warum lassen sich sozialdemokratische Themen nicht platzieren? Oder nimmt uns schlichtweg niemand mehr ernst?

Nach einer Nacht und einem Tag zum Nachdenken, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir, also die SPD, einen Neustart brauchen. Und damit meine ich einen radikalen Bruch und nicht ein erneutes Hochfahren des alten Betriebssystems. Hierfür benötigen wir eine andere Struktur, eine andere Arbeitsweise und vor allem anderes Personal. Aber der Reihe nach.

Schritt 1: Struktur verändern und Basisdemokratie schaffen

Die SPD ist organisiert wie anno dazumal. Wir haben Landesverbände, die in Kreisverbände unterteilt sind, die in Ortsvereine unterteilt sind. Wollen wir Basismitglieder mitbestimmen, dann wählen wir unsere Delegierten für die Landeskonferenzen, die wiederum Delegierte für die Bundeskonferenzen wählen und so weiter. Im Endeffekt führt dies dazu, dass die meisten Mitglieder in der Partei de facto nichts zu sagen haben. Wer das meiste „Sitzfleisch“ besitzt, dem winken hingegen Posten und Einfluss. Und schaffe ich es nicht zum Ortsvereinstreffen, weil ich zum Beispiel nach zehn Stunden Arbeit gerade meinen eineinhalbstündigen Heimweg antrete, wenn das Treffen losgeht, kann ich nicht mitgestalten.

Man möge mich nicht falsch verstehen. Ich finde die Ortsvereine prinzipiell gut und ich hatte mit meinen bisher auch immer Glück. Aber dass alles von einer lokalen, hierarchischen Struktur ausgeht, hat mit einem modernen Demokratieverständnis in meinen Augen wenig zu tun. Ich fordere, dass wir unsere Satzung über Bord schmeißen und uns eine neue geben, die sich an der von anderen Parteien orientiert. Die Grünen, aber auch die mittlerweile bedeutungslos gewordenen Piraten, sind hier moderner und zukunftsorientierter aufgestellt.

Mir ist bewusst, dass nicht jede*r die Muße hat, ein dreihundertseitiges Antragsbuch für einen Parteitag nach Feierabend durchzuarbeiten. Aber es muss doch die Möglichkeit dazu bestehen! Direkt partizipieren zu können, ist für mich das entscheidende Element der Erneuerung der Partei. Der Kern, aus dessen Keim etwas Neues entsteht.

Schritt 2: Kommunikation mit den Wähler*innen

Entscheidend bei der Übermittlung einer Nachricht ist nicht, was der Sender sendet, sondern was beim Empfänger ankommt. Diese simple Regel haben wir nicht beachtet. Seit Jahren schon nicht.

Wahrgenommen werden wir als die Partei, die ihre Werte und ihre Stammwählerschaft verraten hat. Mit der Agenda 2010 haben wir vielen Menschen Sicherheit genommen und sie einem wilden Markt überlassen, die Ausbeutung von geringqualifizierten Arbeitskräften vorangetrieben und den ganzen Kontinent damit in eine Krise gestürzt. Vor allem aber haben wir eine neue soziale Klasse geschaffen, die es vorher nicht gab, und sie mit dem Label „Hartz IV“ versehen, das den Betroffenen ihre Würde nimmt und sie sozial ausgrenzt. Mir ist bewusst, dass das natürlich niemals beabsichtigt war und dass die Bundesrepublik ohne Umbau der Sozialsysteme womöglich wirtschaftlich jetzt viel schlechter dastünde. Ich kenne die Debatten darüber zur Genüge, die die Partei innerlich häufig zu zerreißen drohen.

Aber darauf kommt es überhaupt nicht an! Denn ausschlaggebend ist eben nicht, wie oben geschrieben, was beabsichtigt war. Sondern nur, wie das Resultat wahrgenommen wird.

Deshalb brauchen wir auch hier einen Schnitt mit der Vergangenheit. Ich erwarte, dass sich unser Parteivorsitzender hinstellt und sich entschuldigt. Und dabei ruhig erklärt, wie es zum Status quo gekommen ist, was beabsichtigt war, und was nicht. Das ist der erste Schritt, der unbedingt vor allen anderen gemacht werden muss. Ohne Entschuldigung, ohne das Überseinenschattenspringen zu Beginn lässt sich kein Streit schlichten, kein Konflikt lösen.

Ist dieser erste Schritt getan, gilt es, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Und das bedeutet: miteinander Sprechen, Dinge vereinbaren und danach handeln. Das ist bei einer Person natürlich leichter als bei 80 Millionen. Aber genau das ist unsere Aufgabe für die nächsten Jahre.

Schritt 3: Zukunftsvisionen schaffen

Der Anfang ist gemacht, aber wie geht es weiter? Ganz einfach, wir müssen uns auf unsere Stärke besinnen. Und die ist eben nicht, Klientelpolitik für „unsere“ Leute zu machen, Unerfüllbares zu versprechen oder gar Angst, Hass und Missgunst zu säen. Nein, wir sind die Partei der Zukunftsgestaltung.

Hier haben wir bereits gute Ansätze, in den letzten Jahren gab es dazu mehrere Veranstaltungsreihen und Workshops. Aber das reicht nicht, das Thema muss viel breiter aufgestellt werden.

Die zentrale Frage lautet: wie wollen wir in Zukunft leben? Hier lassen sich viele kleine Sach- und Sozialthemen zu einer großen Vision vereinen. Wir alle können an unzähligen Puzzleteilen mitarbeiten, die flankiert von wenigen großen Leitlinien ein Bild ergeben, das wir stolz vor uns hertragen und allen zeigen können. „Ich bin Sozialdemokrat*in. Ich stehe für ein besseres Leben. Ich bin die Zukunft!“

Schritt 4: Zeitplan aufstellen und anpacken

Die nächste Bundestagswahl scheint Äonen entfernt zu sein, doch sie ist es nicht. Wir haben nur drei Jahre Zeit, um uns komplett neu zu erfinden und in den Wahlkampf zu starten. Maximal, sei noch ergänzt, denn ob die neue Bundesregierung so lange durchhalten wird, weiß aktuell noch niemand. Wir müssen im Grunde jederzeit einsatzbereit sein!

Also heißt es: Zähne zusammenbeißen, Ärmel hochkrempeln und ran ans Werk!

Nicht zu vergessen: Personelle Veränderungen vornehmen

Dies alles ist, in meinen Augen, mit einem Großteil des bisherigen Spitzenpersonals nicht möglich. Die erste Reihe, und auch ein Teil der zweiten, ist für mich verbrannt.

Mir ist bewusst, dass ich vielen Freundinnen und Freunden Unrecht tue, wenn ich folgende Regeln einfordere:

  • Niemand sitzt länger als zwei Wahlperioden ohne Unterbrechung in einem Parlament. Lediglich bei dem/der Bundeskanzler*in „ruht“ der Zähler.
  • Wer in der Exekutive tätig ist, also ein Amt als Minister*in ausübt, ist nicht gleichzeitig Teil der Legislative. Ausgenommen hiervon ist nur die/der Bundeskanzler*in.
  • Wer die Partei führt, ist weder in der Legislative noch der Exekutive tätig.

Warum das alles? Aus mehreren Gründen. Zum einen ist es völlig unmöglich, ein Bundestagsmandat, immerhin mindestens ein 50-Stunden-Job wie im mittleren Management, und ein Exekutivamt, immerhin mindestens ein 70-Stunden-Job wie im Topmanagement, gleichzeitig auszuüben. Das kann nicht funktionieren! Eine der Funktionen leidet immer, und dazu noch eine der Rollen, weil man in meinen Augen einfach nicht beide einnehmen kann.

Die Begrenzung finde ich wichtig, um einerseits regelmäßig frischen Wind in die Gremien zu bringen. Damit eben nicht immer die- oder derjenige nominiert wird, die/der das beste Netzwerk aufbauen konnte. Andererseits erzeugt dies einen gewissen zeitlichen Druck bei der Umsetzung der eigenen Ziele.

Darüber hinaus müssen wir so mehr als Team agieren. Wir können es uns strukturell nicht mehr leisten, politische Gegner*innen „abzusägen“. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns innerlich in verschiedene Lager aufzuspalten und unsere Mannen hinter uns zu scharen. Die Gretchenfrage, auf welcher Seite man denn so stünde, muss aus den Köpfen verschwinden. Die Flügel müssen verschwindet, sie sind Gift. Und mit ihnen ihr Führungspersonal.

Und noch eine Sache, über die ich mich regelmäßig und gerne streite: für mich ist „Politiker*in“ eine Berufung; und ich finde es essenziell wichtig, dass es eben kein Beruf ist, sondern unsere Abgeordneten Kaufleute, Busfahrer, Erzieher, Mathematikerinnen oder Reinigungskräfte sind! Und dass sie ein Leben vor und eines nach dem Bundestag haben.

Parteitag, jetzt!

Die Termine für die ersten Regionalkonferenzen folgen in den nächsten Tagen. Ich bin gespannt, ob wir dort über eine reine Nachlese und ein halbherziges „weiter so“ hinauskommen. Meiner Meinung nach ist das Zeitfenster, das wir für die innere Erneuerung haben, klein, weshalb wir jetzt in einem großen Maßstab denken müssen. Und das bedeutet für mich, wir brauchen einen Grundsatz-Parteitag mit einem einzigen Thema: die Umsetzung von Schritt 1.

Was vom „Diesel-Gipfel“ übrig blieb

Ich wäre gerne Bundesverkehrsminister. Genaugenommen Bundesminister für Infrastruktur, Verkehr und Bau. Das meine ich ernst, auch wenn ich meinen Freundinnen und Freunden in der Politik bisher immer nur beim Bier davon erzähle. Ich hätte nämlich nicht nur Lust auf den Job, sondern bin auch fachlich dafür qualifizierter als jedeR am Horizont erkennbare PolitikerIn und hätte auch schon einen Sack voll Ideen. Der öffentlichen Personennahverkehr ließe sich mit den Mitteln der Digitalisierung und der einen oder anderen Gesetzesänderung massiv verbessern, der Schienenverkehr insbesondere. Den Schnellstraßenbau kann man mit einem psychologischen Trick viel kostengünstiger realisieren. Das Radwegenetz könnte man innerhalb einer Dekade genauso massiv ausbauen wie die Breitbandversorgung. Die Dezentralisierung des Stromnetzes ist viel einfacher als gedacht. Und sogar bei den Schifffahrtswegen erkenne ich Optimierungspotenzial.

Und noch etwas hätte ich ganz anders aufgezogen, nämlich den „Diesel-Gipfel“.

Ja, ich weiß, es gibt schon unzähliche Kommentare zu diesen Thema; ich bin wirklich nicht früh dran. Und die meisten stufen das Ergebnis als ähnlich lächerlich ein, wie ich das tue. Aber darum geht es nicht.

Fassen wir mal zuammen, was passiert ist: Bundesminister Dobrindt hat im Grunde gar nichts erreicht. Einige Autohersteller haben versprochen, dass ein bisschen was an der Software rumgedoktort wird, aber das war es. Keine sofortige schärfere Überwachungsmaßnahme der Abgaswerte. Keine Pflicht zur Nachrüstung von SCR-Abgasreinigungsanlagen. Noch nicht mal die Pflicht, diese ab sofort einzubauen. Nichts dergleichen!

Mich bewegt dies aus mehrerlei Gründen. Zum einen wäre da mein Auto. Ich habe nämlich einen drei Jahre alten Euro-5-Diesel, der vermutlich deutlich mehr Dreck auspustet, als mir vom Hersteller weisgemacht wurde. Ich bin zwar sehr zufrieden mit dem Wagen, hätte aber gerne das relativ umweltfreundliche Fahrzeug, das mit versprochen worden ist. Stattdessen ist der Wert des Fahrzeugs aber gerade um einige tausend Euro gefallen. Dankeschön! Ich weiß jetzt nur, dass vermutlich bei der nächsten Inspektion in meiner Werkstatt eine neue Firmware aufgespielt wird und das war es dann. Stickoxidreduktion? Darf ich für 2.000 € gerne selber nachrüsten. Das bedeutet im Endeffekt, dass es wirtschaftlich für mich jetzt mehr Sinn macht, den Wagen eine Dekade bis zum bitteren Ende zu fahren, als ihn in zwei oder drei Jahren zugunsten eines moderneren Fahrzeugs in Zahlung zu geben.

Zum anderen kommt in mir der Sozi durch. Denn was jetzt droht, und das völlig zu recht, sind Fahrverbote für wenige Jahre alte Autos, die die Bundesregierung vor Kurzem noch massiv gefördert hat. Das bedeutet, dass der Absatz an Dieselfahrzeugen vermutlich drastisch einbrechen wird und somit auch Arbeitsplätze in der Motorenfabrikation akut gefährdet sind. Zwar bin auch ich dafür, schnell auf elektrische Antriebe umzustellen; aber die Verpflichtung zum Einbau von AdBlue-Einspritzanlagen hätte der Industrie Zeit zum Umstellen gegeben. Wir haben jetzt also eine Lose-Lose-Situation erreicht.

Ich verstehe nicht, wie man so unfähig sein kann wie unser derzeitiger Verkehrsminister, das ärgert mich wirklich sehr. Und ich kann nicht mal ansatzweise nachvollziehen, wieso Frau Merkel einfach gar nichts tut. Sie trägt schließlich nicht nur die Verantwortung dafür, dass Arbeitsplätze und Werte vernichtet, sondern letztlich auch, dass Menschen vergiftet werden!

Um an den Anfang meines Eintrag zurückzukommen, ist hier das, was ich als akute Maßnahme unternommen hätte:

  1. Erstzulassung von Dieselfahrzeugen ohne SCR-Abgasreinigungsanlage ist ab 2018 nicht mehr möglich.
  2. Verpflichtung der Hersteller zur kostenlosen Nachrüstung von SCR-Abgasreinigungsanlagen durch die Hersteller aller Dieselfahrzeuge mit Euro-5- und Euro-6-Norm, sofern die Fahrzeuge die angepriesenen Stickoxidwerte unter normalen Fahrbedingungen überschreitet.
  3. Erarbeitung einer staatlichen „Abwrackprämie“ für Fahrzeuge mit Dieselmotoren bis zur Euro-4-Norm.

Außerdem hätte ich vor dem „Diesel-Gipfel“ versucht, mich mit meinen AmtskollegInnen unionsweit abzustimmen. Die meisten Staaten warten nämlich nur darauf, dass Deutschland sich in der Abgas-Frage endlich bewegt. Und die anderen Länder mit Fahrzeugindustrie, also vor allem Tschechien, Polen, die Slowakei, Frankreich und Spanien hätte man schnell von einem solchen moderaten Übergang überzeugen können.

Wieder eine Chance vertan. Sehr, sehr Schade.

Eine Posse sondergleichen

Die Wahl des Europaparlaments verlief als Sozialist nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Wir sind zwar die zweitstärkste Fraktion geworden, aber die Nummer Zwei zu sein, bedeutet nun mal, dass man verloren hat. Das ist sehr schade, denn Martin Schulz wäre ein fantastischer Kommissionspräsident geworden. Aber die EPP hat die Wahl gewonnen und mit ihnen Jean-Claude Juncker. Doch statt schnell Volkes Wille umzusetzen, läuft seitdem eine Posse sondergleichen, für die ich mich als Demokrat zutiefst schäme. Insbesondere David Cameron stellt sich quer, und mit ihm einige andere Regierungschefs der Staaten, die Juncker partout nicht dem Parlament als Kommissionspräsidenten vorschlagen wollen. Aber statt „in die Bütt“ zu gehen und dem demokratischen Prozess seinen Lauf zu lassen, verhandeln seit Wochen einige wenige Mächtige und versuchen, die Sache unter sich auszumachen.

Das alles erinnert mich stark an vordemokratische Zeiten, als ein paar Monarchen die Macht in ihren Händen hielten und das Staatsoberhaupt von wenigen Kurfürsten bestimmt worden ist.

Um der Sache ein Ende zu bereiten, bin ich für eine möglichst rasche Abstimmung  über die Personalie des Kommissionspräsidenten im Rat. Sollte der Vorschlag allerdings nicht Jean-Claude Juncker lauten, empfehle ich dem Parlament, solange zu blockieren, bis der Rat einknickt. Ich hoffe allerdings, dass es nicht dazu kommen wird.

Danach bin ich für eine schnelle Reform dieses Auswahlprozesses. Das Parlament ist das Gremium in der Union, dass das Volk direkt repräsentiert und das deshalb auch die höchste demokratische Legitimation besitzt. Ähnlich wie im Bundestag, sollte auch das Parlament den Kommissionspräsidenten direkt wählen, möglichst aus seiner Mitte. Dem Rat gebührt hierbei keinerlei Mitspracherecht, und ich wüsste auch nicht, weshalb. Die Kommissare würde das Parlament dann auf Vorschlag des Kommissionspräsidenten wählen, wobei das genaue Verfahren hier weniger kritisch ist. Und der Rat? Dem Rat gebührt meiner Meinung nach die Rolle, die üblicherweise dem Oberhaus zukommt: Abstimmung über Gesetzen mit einfacher Mehrheit.

Ich weiß, dass meine Meinung zurzeit vielleicht nicht mehrheitsfähig ist, denn sie würde de facto das Ende der Europäischen Union als Staatenverbund bedeuten und die Schaffung eines Bundesstaats bedingen. Daher sprechen vermutlich auch viele Politiker nicht laut aus, was sie denken, auch wenn sie meiner Meinung sind. Dennoch wäre dies nicht nur der nächste logische Schritt, sondern er ist auch notwendig, damit Europa in einer globalisierten Welt weiterhin eine relevante Rolle spielen kann.

Ich beschäftige mich sehr intensiv mit dem Thema „Europa“ und habe eine sehr klare Vorstellung von der politischen Zukunft unseres Kontinents. Daher habe ich mir vorgenommen, mich zukünftig hier stärker einzelnen Aspekten zu widmen.

Tschüs Website Baker. Hallo WordPress!

Seit ich meine Website habe, hat sich einiges getan. Ich stelle keine Arbeiten mehr ins Netz, schreibe dafür jetzt aber häufiger Blogposts. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, vom deutlich antiquierten Website Baker zum deutlich moderneren WordPress zu wechseln.
Ich habe alle meine Posts übernommen, auch wenn die Veröffentlichungsdaten nun teilweise Quatsch sind. Meine Arbeiten folgen nun nach und nach.
Die alte Website lasse ich noch eine weile im Netz. Ihr erreicht sie HIER.

Und nicht wundern, vielleicht bastel ich die Tage noch mal am Layout. 🙂

Start meines Blogs

Um es kurz zu machen: erwartet von mir keine wöchentlichen Posts in diesem Blog. Wenn ich Zeit habe und diese im Netz verbringe, dann bin ich eher der klassische Konsument. Ab und an passiert es aber doch, dass mich etwas unglaublich aufregt. Und das ist der Zeitpunkt, an dem ich äußerst produktiv werden kann. Also, freut euch auf meinen Senf 😉 !

Seb