Es ist Ende März 2020, wenn ich diese Zeilen schreibe. Die COVID-19-Pandemie hat in Europa ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, die Lage ist angespannt. Die Grenzen sind geschlossen, Ausgangssperren drohen. In Krankenhäusern gehen Desinfektionsmittel und Schutzmasken zur Neige. Toilettenpapier und Seife sind in den Supermärkten Mangelware, ansonsten ist die Versorgung sichergestellt. Das öffentliche Leben liegt danieder. Auf den Straßen sind, trotz des fabelhaften Wetters, wenige Menschen unterwegs. Mein ganzes Team arbeitet im Homeoffice. Selbst Besuche der Familie schränken wir ein. Der kommende Urlaub hat sich in eine Bereitschaftszeit verwandelt.
Insbesondere das medizinische Personal, aber auch Polizist*innen, Verkäufer*innen, Fahrer*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen gehen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Gleichzeitig müssen viele Betriebe ihre Arbeit einstellen. Viele Menschen sitzen einfach zu Hause in ihren Wohnungen, in der Hoffnung, dass die Ersparnisse bis zum Ende der Krise reichen.
Wir stellen fest, dass einige Dinge nicht gut funktionieren. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht in das übliche Gemecker einsteigen, sondern Vorschläge unterbreiten, die uns für die nächste Krise – und die wird kommen – besser wappnen:
Grundeinkommen einführen:
Aktuell bricht vielen Menschen von einem Tag auf den anderen ihr Einkommen weg. Die Behörden sind gar nicht in der Lage, auf die Schnelle einen finanziellen Puffer großflächig auszurollen, selbst wenn der Gesetzgeber dies wollte. Daher plädiere ich für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; mindestens bundes-, am besten aber unionsweit. Dies funktioniert in meiner Vorstellung wie folgt: jede*r Mensch mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik bzw. der Union erhält 1.000 € im Monat, also 12.000 € im Jahr, aus Steuergeldern. Darüber hinaus wird die Besteuerung aller Einkommensarten so geändert, dass die ersten 12.000 € im Jahr pro Person komplett steuerfrei sind, die zweiten 12.000 € (also der 12.001. bis 24.000. Euro) zu 100 % besteuert werden. Danach geht es wie gewohnt gestaffelt weiter.
Dies hat zur Folge, dass all diejenigen, die mehr als 1.000 € monatlich verdienen, de facto kein Grundeinkommen erhalten. Wer hingegen wenig Geld verdient oder lediglich Sozialleistungen bezieht, rechnet dies gegen und erhält so am Monatsende mindestens 1.000 €.
Mir ist bewusst, dass das de facto das Arbeitslosengeld, das Wohngeld etc. überflüssig macht, wodurch nebenbei Verwaltungskosten eingespart und die Gemeindekassen entlastet werden können. Außerdem werden Mini-Jobs und prekäre Beschäftigungen unattraktiv. Schwarzarbeit muss scharf verfolgt werden. Wir federn Einkommensausfälle in Krisenzeiten, wie dieser, aber sehr einfach und unbürokratisch ab.
Kartenzahlung ermöglichen:
Es mag erst einmal verrückt klingen, aber die kontaktlose Bezahlung per Karte oder Smartphone kann Leben retten. Denn über Bargeld reisen Viren sehr schnell von Mensch zu Mensch. Darüber hinaus versteht außerhalb von Deutschland sowieso niemand, warum man überhaupt noch bar bezahlt, aber sei’s drum.
Ich schlage deshalb vor, dass jedes Unternehmen, das Kartenzahlung akzeptiert, dies ohne Untergrenze tun muss. Sätze wie: “Kartenzahlung erst ab zehn Euro!” würden damit der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus wird jede Kette mit mehr als zwei Geschäften dazu verpflichtet, Kartenzahlungen zu akzeptieren. Dies schließt auch Franchisemodelle mit ein.
Ich würde private Unternehmen überhaupt nicht mehr zu Annahme von Bargeld verpflichten. Ausnehmen von dieser Regel würde ich nur Behörden und medizinische Einrichtungen.
Recht auf Homeoffice einführen:
Natürlich können viele Menschen nicht von zu Hause aus arbeiten. Wer an der Kasse sitzt, Menschen pflegt, Bus fährt, Laborproben auswertet usw., wird natürlich immer an einen spezialisierten Arbeitsplatz fahren müssen, um der eigenen Tätigkeit nachgehen zu können. Dennoch arbeiten viele Menschen in Berufen, die grundsätzlich Homeoffice ermöglichen. Ich vermute, es sind zwischen 10 und 20 % aller Arbeitnehmer*innen.
Gäbe es ein Recht auf Homeoffice, sofern die Tätigkeit dies strukturell zulässt, würden wir nicht nur den Straßen- bzw. den öffentlichen Personennahverkehr entlasten und dadurch in Pandemiezeiten die Ansteckungsquote reduzieren, sondern die entsprechenden Unternehmen und Behörden würden auch Lösungen zur Telearbeit bereithalten. Kapazitäten für Telefon- und Videokonferenzen, gemeinsame Datenspeicher, Cloud-Anwendungen, Online-Whiteboards etc. lassen sich in Ausnahmesituationen wie der jetzigen recht schnell aufstocken. Doch müssen diese Dienste erst einmal eingeführt und der Umgang mit ihnen “geübt” werden. Ein solches Gesetz würde dies zukünftig ermöglichen.
Schulen mit Online-Lernplattformen ausstatten:
Zugegeben, das ist ein dickes Brett, denn alleine in Deutschland haben wir 16 Bundesländer, über 400 Landkreise und kreisfreie Städte und was weiß ich wie viele Gemeinden, die für die Schulen zuständig sind. Würden wir diesen Einrichtungen allen eine bundesweit einheitliche, sichere und komfortable Plattform für das “Online-Lernen” bereitstellen, könnte man bei Pandemien und in anderen Krisenzeiten den Schulbetrieb virtuell ein Stück weit aufrechterhalten.
Dass Hausaufgaben und andere Materialien online für die Schülerinnen und Schüler abrufbar sein sollen, wäre meiner Vorstellung nach nur ein mögliches Feature. Auch die Bereitstellung von Audiodateien, Videos und externen Materialien sollte möglich sein, genau wie ein virtueller Klassenraum mit Chat- und Telefonkonferenzfunktion.
Grenzen offen lassen, Bewegungsradien einschränken:
Die Grenzen der Unionsstaaten zu schließen, war ein nachvollziehbarer Reflex. In Zeiten von eng getakteten Lieferketten erweist sich dies jedoch als fatal. Denn obwohl Lastwagen die Grenzen nach wie vor passieren dürfen, stauen sich diese kilometerweit ins Hinterland. Die Versorgung der Fahrerinnen und Fahrer ist nicht sichergestellt, weil die Raststätten geschlossen haben und sowieso nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen würden.
Sinnvoller wäre es, die Bewegungsradien aller Menschen koordiniert einzuschränken, sofern sie nicht auf dem Weg zur oder von der Arbeit sind. Ich stelle mir vor, dass, sofern keine Ausgangssperre erlassen worden ist oder gar Quarantäne angeordnet wurde, jeder Mensch sich nur 20 km um seinen Wohnort herum aufhalten darf. Natürlich ließe sich dieser Wert beliebig anpassen. Aber durch eine solche Maßnahme wäre sichergestellt, dass wirklich nur die notwendigsten Fahrten unternommen werden, wie das Einkaufen oder die Versorgung von Angehörigen, Tieren o. ä.
“Unionsreserve” anlegen:
Desinfektionsmittel ist knapp. Atemschutzmasken sind knapp. Sauerstoffflaschen sind knapp. Überall.
Was lernen wir daraus? Wir müssen einen Vorrat anlegen. Ich schlage deshalb vor, dass wir unionsweit beispielsweise drei Millionen Liter Desinfektionsmittel, zehn Millionen Atemschutzmasken und eine Million Flaschen mit medizinischem Sauerstoff bevorraten, sobald diese wieder auf dem Markt verfügbar sind. Dieser Vorrat wird bei Bedarf Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
Die medizinische Versorgung reformieren:
Wir merken aktuell, dass das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt. Wo schon in Zeiten des Regelbetriebs Personalkapazitäten knapp sind und teure, aber wichtige Geräte nur in geringer Stückzahl bereitgehalten werden, kann die extreme Belastung einer Pandemie realistischerweise nicht aufgefangen werden.
Natürlich sollen Praxen, Apotheken und auch Krankenhäuser nach wie vor unabhängig vom Staat sein. Ein Modell nach Vorbild des britischen NHS halte ich für ineffizient und träge. Dennoch wünsche ich mir, dass medizinische Großbetriebe, allen voran Krankenhäuser, keinen Gewinn abwerfen dürfen, um sich voll und ganz ihrem Daseinszweck zu widmen, nämlich der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Durch eine Umwandlung in gGmbHs & Co. würden den jetzigen Unternehmenseigner*innen jedoch Einnahmen entgehen, weshalb man vermutlich über eine Entschädigung bzw. einen Erwerb der Unternehmen sprechen müsste.
Doch die Entkommerzialisierung von Krankenhäusern wäre nur ein erster Schritt. Darauf folgen müsste eine Mindestquote von Pflegepersonal und Ärtz*innen pro Bett, die das Krankenhaus einhalten muss. So wird mehr Personal benötigt, was zu mehr Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt führt, was zu höheren Gehältern führt.
Darüber hinaus muss die Ausbildung und das Studium im Pflegebereich gefördert werden und auch den Numerus Clausus für das Medizinstudium halte ich für längst nicht mehr zeitgemäß.
Lasst uns gemeinsam die Chance nutzen, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergibt, uns unsere Gesellschaft nach vorne entwickeln!